Teil 2:

Farbe beim Wohnen

Nachdem es in Folge 1 von »Farbe beim Wohnen« um die Frage ging, in welchem Räumen man eigentlich Wandfarbe einsetzen kann (Antwort: in allen!), stellt sich jetzt die nächste Frage: Wie komme ich denn zum passenden Farbton für meinen Raum?

Es gibt verschiedene Herangehensweisen an diese Frage bzw. verschiedene Kriterien, nach denen man das entscheiden kann, und die man sinnvollerweise auch beachtet. Schauen wir uns die mal im Einzelnen an. Kriterium Nummer 1 ist das Kriterium, das nie genannt wird, das meiner Meinung nach aber das allerwichtigste Kritierium ist! Es lautet:

Welche Farben mag ich denn überhaupt?

Es gibt, wie wir gleich erfahren werden, verschiedene Faktoren, die man bei der Wahl des Farbtons für einen Raum berücksichtigen kann bzw. soll. Aber alle diese Entscheidungskriterien nützen mir nichts, wenn mir die Farbe, die sich daraus ergibt, grundsätzlich nicht gefällt. Wenn also ein helles Blau als ideal fürs Schlafzimmer gilt, nützt mir das gar nichts, wenn mir helle Blaus nicht gefallen.

Das heißt: Über allen anderen Kriterien steht immer die Frage: Aus dem Bauch heraus, ganz spontan: Mag ich diesen Farbton?

Jetzt muss man da ein bisschen aufpassen, denn es gibt auch das Phänomen, dass uns oft das am besten gefällt, was wir am besten kennen. Das ist natürlich etwas blöd, da kommen wir ja nie zu einer Veränderung. Deshalb rate ich sehr dazu, das Urteil, ob man einen Ton mag oder nicht, ein bisschen nach hinten zu schieben im Entscheidungsprozess und in der ersten Phase, der Erkundungsphase, offen zu bleiben für alle Farben.

In dieser ersten Phase schaut man sich idealerweise ja auf Instagram oder Pinterest oder in Zeitschriften und Magazinen Räume mit verschiedenen Wandfarben an. Die meisten gehen dabei auch von den Farben aus, die sie gern haben, oder schließen die automatisch aus, die auf ihrer persönlichen Farbhitliste nicht ganz oben liegen. Dabei ist es in dieser Anfangsphase ganz wichtig, auch Farben und Töne in Betracht zu ziehen, von denen man bisher dachte, man mag sie nicht so gern.

Ich hätte mir vor 5 Jahren nicht vorstellen können, in einem rosafarbenen Büro zu sitzen. Jetzt liebe ich diese Farbe in diesen Räumen.

Neben dem Oberkritierium »Gefällt mir persönlich eine Farbe« gibt es drei Aspekte, die meist genannt werden, wenn es um die »richtige« Farbwahl für Räume geht. Man sollte diese Aspekte auch auf jeden Fall einmal durchdenken – ob man sich dann  nach dem üblichen Vorgehen richtet, ist eine andere Frage. Aber wie so oft beim Einrichten: Zumindest einmal darüber nachdenken ist wichtig.

Aspekt 1: Die Himmelsrichtung

Es gibt die klassische Regel, dass die gewählte Farbe zur Himmelsrichtung passen sollte, um nicht zu kalte oder zu warme Räume zu bekommen.

Man weiß, dass die subjektiv wahrgenommene Temperatur in einem Raum abhängig ist von der Farbe, die der Raum hat. Räume mit warmen Farben (Gelb, Orange, Rot, manche Grüntöne) fühlen sich wärmer an als Räume mit kalten Farben (Blau, Violett, manche Grüntöne).

Räume, die die Fenster Richtung Norden haben, haben keine direkte Sonne im Raum – sind also eher kühler – Räume Richtung Süden haben oft viel Sonne im Raum – dort ist es wärmer. Man kann nun mit der Farbe die Temperatur die sich durch die Himmelsrichtung ergibt, ausgleichen. Also warme Farben in Nord-Räumen, kühle Farben in Süd-Räumen.

Das funktioniert in der Praxis auch ganz gut; für mich ist die Himmelsrichtung aber immer nur in Extremfällen wirklich ein Kriterium, und zwar dann, wenn ein Raum nicht zu warm werden soll – ich würde also einen klar südseitig ausgerichteten Raum mit viel direkter Sonne nicht in Gelb streichen. In die andere Richtung, also Norden, ist das für mich gar nicht so wichtig; denn ich kann Wärme im Raum auch mit anderen Gestaltungselementen schaffen: Naturmaterialien, Stoffe, welche Möbel und Accessoires sind im Raum.

Aspekt 2: Die psychologische Wirkung

Bei diesem Aspekt geht es um die Frage, welche Wirkung man mit einer Farbe im Raum erzielen möchte. Das kann sehr vieles sein: Weite, Ruhe, Aktivierung, Konzentration, gute Laune – die Liste ließe sich sehr lang fortsetzen.

Und dieser Aspekt ist auch ein zentraler Aspekt. Denn Farben haben ja tatsächlich verschiedene Wirkungen auf uns. Einige davon sind:

  • Aktivierung

    Warme Farben, also Rot und Orange.

  • Beruhigung / Konzentration

    Kühle Farben, vor allem kühles Grün und kühles Blau.

  • Weite

    Helles Blau weitet Räume

  • Naturbezug / Erholung

    Grün, Beige

  • Gute Laune, Fröhlichkeit

    Eher bunt, eher Kontrastfarben zusammen verwenden.

Aber Achtung: Man sollte sich überlegen, ob man die gewünschte Wirkung auch wirklich 24 Stunden am Tag in dem Raum erleben möchte. Immer nur Fröhlichkeit und Aktivierung zum Beispiel kann auf Dauer recht anstrengend sein.

Farben haben darüber hinaus auch symbolische Wirkungen; wer mehr dazu wissen möchte, dem sei noch einmal das Buch von Eva Heller ans Herz gelegt, das ich vor kurzem vorgestellt und auch in Teil 1 erwähnt habe.

Aspekt 3: Farben für Raumfunktionen

Aufbauend auf Aspekt 2, der psychologischen Wirkung von Farben, gibt es auch bekannte Empfehlungen, welche Farben für welche Raumfunktionen ideal sind.

So werden meist empfohlen:

  • Für das Schlafzimmer: neutrale Töne (abgetöntes Weiß, Grau, Beige), helles Grün oder helles Blau
  • Für das Arbeitszimmer: helles Blau oder Grün
  • Rot und Gelb eher im Wohnzimmer.
  • Für das Kinderzimmer: Je nach Trend im Interior Bereich wechseln die Empfehlungen (was aus meiner Sicht übrigens eher ungünstig ist; aber dazu an anderer Stelle einmal mehr.)

Ich finde diese Zuordnungen oft nicht so hilfreich, da eher das Kriterium Nummer 1 (Mag ich den Farbton?) bzw. die Wirkungen, die man erzielen möchte, wichtig sind. Und beide Aspekte können von den klassischen Empfehlungen, welche Farbe für welchen Raum passt, stark abweichen.

Das heißt konkret, ich würde bei der Suche nach der richtigen Farbe für einen bestimmten Raum immer in folgenden Schritten vorgehen:

  1. Online, am besten auf der Seite eines Farbenherstellers alle möglichen Fotobeispiele durchschauen. (Vor allem die Webseiten oder Instagram-Accounts von Anbietern für Kreidefarben eignen sich sehr gut; die haben oft die schönsten Beispiele von echten Räumen mit ihren Farben). Dabei wirklich mal alle Farben durchschauen – nicht nur die, die man sich im Moment gut vorstellen kann.
  2. Es kristallisieren sich dann oft mehrere Farbtöne raus, die man interessant oder schön oder anziehend findet. Und zwar aus dem Bauch heraus. Jetzt ist es gut, das Gefühl, das die Farben auslösen, einfach ein bisschen zu beobachten. Am besten über ein paar Tage oder Wochen die Fotos der Räume mit der Farbe immer wieder mal anschauen. Manchmal hat man nämlich eine Euphorie für einen Farbton, die nach ein paar Tagen wieder abklingt. (Ich spreche aus Erfahrung 😁). Es geht in diesem Schritt also immer noch um die Frage: Mag ich diese Farbe wirklich gern?
  3. Dann überlegen: Welche Wirkung löst die Farbe aus? Ist das die Wirkung, die ich im Raum auch erreichen will?
  4. Und zuletzt: Gibt es ein „Himmelsrichtungs-Problem“? Ist also der gewählte Farbton für die Himmelsrichtung möglicherweise nicht gut geeignet? (Das betrifft wie gesagt aus meiner Sicht fast nur warme Farben in Süd-Räumen).

Tipp: Wenn man so zu einer oder mehreren Favoriten gekommen ist, kann man sich beim Farbhersteller meist DIN A4 große Muster schicken lassen. Die hängt man dann im betreffenden Raum mal an die Wand und lässt sie dort ein paar Tage (oder Wochen?) hängen. So sieht man sie häufig und man sieht auch, wie die Farbe im Licht dieses Raumes über den Tag hinweg wirkt. Die Farbwirkung verändert sich nämlich, abhängig davon, ob die Morgensonne herein scheint, ob es regnet oder ob ich abends im Zimmer die Lampen anschalte.

Man sollte sich also ein bisschen Zeit lassen mit der Farbwahl. Aber irgendwann sollte man sich auch entscheiden – selbst wenn ein kleines bisschen Unsicherheit bleibt. Denn das Schlimmste was passieren kann, ist, dass man die Wand innerhalb von ein paar Monaten wieder weiß streicht, wenn man merkt, dass die Farbe doch nicht ideal ist – eigentlich auch kein Beinbruch. (Wenn man wie oben beschrieben vorgeht, ist das aber eher unwahrscheinlich).


Diese Farbauswahl wendet man übrigens idealerweise nicht nur für einen Raum an. Am besten denkt man nämlich die Farben aller Räume zusammenhängend. Das heißt, am schönsten wird die Wohnung, wenn die Farben in den Räumen Teil eines Farbkonzepts oder Farbschemas sind. Und wie man ein solches Farbschema zusammenstellt, wird Thema der nächsten Folge von »Farbe beim Wohnen« sein.